Band 6
Spalte 231
Zur Begründung des Antrags (Vorbereitungen für das nächste Baujahr betr.) der Abg. Freidhof und Gen. erhält das Wort
Abg. U n g e r (Unabh. Soz.):
Unser Antrag ist eigentlich eine Ergänzung des Antrags Marum und Gen. Dieser fordert die Bereitstellung von Geldmitteln zur Beschaffung von Baumaterialien. Eine Bereitstellung von Geldmitteln genügt aber nicht; denn als vom Reich Richtpreise für Zement bestimmt wurden, haben wir die Beobachtung machen müssen, daß diese von der Baustoffindustrie sabotiert wurden, und daß diese Industrie den Umstand, daß das eben genannte Material für das Bauen wichtig und unentbehrlicch ist, zur Erzielung von „Wucherpreisen” ausbeutete.
Was unser Antrag will, und was wir damit sagen möchten, das ist: daß vor allen Dingen staatliche Produktionsquellen geschaffen werden sollten, in welchen diese bereit gestellten Gelder festgelegt werden, damit sie dann auch – und zwar durch planmäßige Verteilung der Baustoffe – im Interesse der Allgemeinheit verwendet werden können. Denn eine planmäßige Verteilung kann ja nur dann erfolgen, wenn der Staat selbst Inhaber der Baustofferzeugung ist, und wenn er auch die Kontrolle über diese Produktion in der Hand hat. Die kapitalistische Gesellschaft, insbesondere das Unternehmertum, das bei der Baumaterialerzeugung in Frage kommt, geht eben nur auf den Profit aus: diesem Unternehmertum ist die Volkswirtschaft und das Wohl der Allgemeinheit in diesem Falle Nebensache. Wir dagegen haben, wenn wir von einer Bereitstellung der Gelder sprechen, nur die volkswirtschaftliche Seite im Auge: wir sehen nur auf das Wohl der Allgemeinheit – nicht aber auf das „Wohl”, das heißt auf die Profitwirtschaft einer gewissen Gesellschaftsklasse.
Ferner möchte ich zur Begründung noch anführen, daß gerade von seiten der Unternehmer in der kapitalistischen Gesellschaft die bestehenden Baugenossenschaften, soweit es sich um die Belieferung von Baumaterial handelt, besonders dann sabotiert werden, wenn diese Organisationen auf dem Boden des sozialistischen Genossenschaftsgedankens stehen. Als Beispiel möchte ich die Arbeiterbaugenossenschaft in Lahr anführen; ihr war es eine Zeitlang unmöglich, Ziegel, Zement, Gips, Holz, überhaupt die notwendigen Baumaterialien zu erhalten, weil sie eben von den Produzenten dieser Materialien boykottiert worden ist.
Wenn wir aber einen Blick auf die heutige Bautätigkeit werfen, so müssen wir aussprechen: Gerade die Baugenossenschaften sind es, welche auf diesem Gebiete Hervorragendes leisten. Die private Bautätigkeit liegt überhaupt vollständig still, und es konnte bisher nur auf genossenschaftlichem Wege tatkräftig und wirksam gegen die Wohnungsnot vorgegangen werden.
Wenn aber auf die Art und Weise, wie ich sie vorhin erwähnt und mit dem Beispiel aus Lahr belegt habe, durch Sabotage von seiten der Besitzenden diese genossenschaftliche Bautätigkeit gehemmt wird, so wirkt das natürlich letzten Endes wieder auf die Behebung der Wohnungsnot zurück. Denn wenn die Wohnungsnot behoben werden soll, so kann das in wirksamer Weise nur vermittelst einer außerordentlich regen Tätigkeit auf dem Gebiete der Neubautenerstellung geschehen. Mit Beschlagnahme von Wohnungen, mit einer Aufhebung der Zwangswirtschaft usw. kann der Wohnungsnot absolut nicht abgeholfen werden. Wenn das Übel ausgerottet werden soll, muß es an der Wurzel erfaßt werden: es muß eine ganz rege und intensive Wohnungsbautätigkeit einsetzen.
Dazu genügt es aber nicht, daß der Staat und die Gemeinden Geldmittel zur Verfügung stellen. Denn es ist eine in dieser Beziehung interessante Tatsache festzustellen: Wenn es sich um einen Wettbewerb zwischen privatwirtschaftlichen Bauunternehmern und Baugenossenschaften handelte, hat sich auf Grund der von beiden Seiten vorgelegten Eingaben herausgestellt, daß die Preise, welche die Baugenossenschaften für die Erstellung von Bauten fordern, wesentlich niedriger sind, als diejenigen, welche das privatwirtschaftliche Bauherrentum ansetzt. Das ist wiederum eine Tatsache von außerordentlicher Wichtigkeit. Wenn Reich, Land und auch die Gemeinden Tausende und Abertausende ihrer – aus allgemeinen Mitteln aufgebrachten! – Gelder zu Bauzwecken zur Verfügung stellen, so hat doch jedenfalls die Allgemeinheit lebhaftes Interesse daran, daß dieses Geld tatsächlich auch im Sinne und zum Vorteil der Allgemeinheit angewendet wird, daß aber nicht zum großen Teil diese „Allgemein-Gelder” in die Tasche von Privat-Produzenten fließen und schließlich zu Wucherzwecken ausgenützt werden: Dieser Fall tritt aber tatsächlich ein, sobald es sich um Privatunternehmer handelt. So ist z.B. bei Bauten, die von Privatbauunternehmern ausgeführt – oder eigentlich nur ausgebaut – wurden, festgestellt worden, daß in der Rechnung Mauern aufgeführt wurden, die in der Tat nicht vorhanden waren.
So wird mit dem Geld der Allgemeinheit gewirtschaftet, wenn es sich darum handelt, den Vorteil der besitzenden Klassen zu wahren. Deshalb ist es außerordentlich wichtig, daß die aus allgemeinen Mitteln bereit gestellten Gelder vor allen Dingen der Allgemeinheit zunutze kommen, und da muß im Sinne der Allgemeinheit der Staat dazu übergehen, diese Gelder so anzuwenden, daß dadurch wirklich auch planmäßig eine Verteilung von Baustoffen und Baumaterialien an Baugenossenschaften und auch an Privatbauherren stattfindet, freilich unter gewissen Bedingungen, daß nicht Gewinne und zwar hohe Gewinne, aus diesen Baumaterialien herausgeholt werden.
Damit möchten wir unseren Antrag begründen und möchten Sie bitten, unserem Antrag, der, wie ich schon vorhin sagte, nur eine Ergänzung des Antrags Marum und Gen. ist, zuzustimmen.
Die Beratung wird eröffnet.
Es erhalten das Wort
233
Abg. H o r t e r (Soz.)
Es ist nicht die Absicht unserer Fraktion, bei dieser Gelegenheit das ganze Problem des Wohnungswesens, der Zwangswirtschaft, der freien Wirtschaft usw. hier aufzurollen. …
(H.S.: Eine sich hier anschließende, den Zeitgeist charakterisierende Diskussion wäre noch zu transkribieren, aber es geht weiter mit der Abstimmung:)
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Die Beratung wird geschlossen.
Bei der hierauf erfolgten Abstimmung werden zunächst die Anträge des Haushaltsausschusses (Drucks. Nr. 25aa und 25b):
1. Der Landtag wolle beschließen,
die Regierung zu ersuchen, alle Vorbereitungen für das nächste Baujahr so zu treffen, daß mit dem Bauen bereits zu Anfang des Jahres begonnen werden kann. Die Vorbereitungen sollen sich auch auf die Beschaffung und Sicherstellung des erforderlichen Baumaterials erstrecken.
2. Der Landtag wolle beschließen:
die Regierung zu ersuchen, mit allem Nachdrucke bei der Reichsregierung und im Reichsrate dahin zu wirken, daß die Preispolitik der Baustoffsyndikate gebrochen und die Preisgestaltung in der Baustoffwirtschaft unter Mitwirkung von Behörden, Arbeitnehmern, Arbeitgebern und Verbrauchern den wirklichen Produktionskosten angepaßt wird.
über welche im Einverständnis des Hauses gemeinsam abgestimmt wird, nach nochmaliger Verlesung durch den Präsidenten einstimmig angenommen.
Abs. 4 des Antrags der Abg. Freidhof und Gen., die Baustoffbewirtschaftung betr. (Drucks. Nr. 25c):
„Wir beantragen, daß der badische Staat eine Reihe Baustoffe herstellender Industrien und Werke in Eigenbesitz nimmt, um so eine planmäßige Herstellung und Verteilung der gesamten Baustoffe vorzunehmen”,
wird nach Verlesung durch den Präsidenten abgelehnt.
Mit den besten Weihnachts- und Neujahrswünschen schließt der Präsident die Sitzung nach 5 Uhr.
15:45 Uhr, 16.10.2010